10 erstaunliche Fakten über die Tiefsee und ihre Bedrohungen

10 erstaunliche Fakten über die Tiefsee und ihre Bedrohungen

Die Tiefsee beginnt dort, wo kein Sonnenlicht mehr durchs Wasser dringt – also in etwa 200 Metern Tiefe. Entgegen unserer Intuition entspricht der Großteil unserer Ozeane der Tiefsee, denn allein im Durchschnitt sind sie 3688 Meter tief. Hier ist der meiste Platz und auch trotz Dunkelheit gibt es hier eine Fülle und Vielfalt an Leben. Klick dich durch 10 erstaunliche Fakten rund um das Thema Tiefsee!

Unsere Tiefsee – Worum geht’s?

Als Tiefsee wird der Lebensraum im Ozean bezeichnet, in den kein Sonnenlicht durchdringt. Wissenschaftlich befindet man sich ab einer Tiefe von 200 Metern in der Tiefsee – und das, obwohl unsere Ozeane durchschnittlich 3688 Meter tief sind. Dem Volumen nach ist somit der Großteil unserer Ozeane Tiefsee. Trotz der Dunkelheit bietet die sie eine Vielfalt an Leben und ist ein spektakuläres Ökosystem, auf das sich ein genauer Blick definitiv lohnt: Es folgen zehn erstaunliche Fakten rund um das Thema Tiefsee. 

1. Der größte Lebensraum unseres Planeten

Der Ozean ist bereits flächenmäßig der größte Lebensraum auf unserem Planeten, denn er bedeckt 71 % der Erdoberfläche. Im Gegensatz zu ländlichen Lebensräumen befinden wir uns im Wasser im dreidimensionalen Raum. Das bedeutet: Durch die Tiefendimension gibt es viel mehr Raum, den Tiere nutzen können. Bezieht man die dritte Dimension mit in die Rechnung ein, bietet der Ozean 99 % aller möglichen Habitate. Aufgrund seiner gewaltigen Tiefe liegen 95 % des Ozeans unterhalb von 200 Metern und dadurch in der Tiefsee. Diese beinhaltet folglich den deutlich größten Lebensraum unseres Planeten.

2. Geisternetze in der Tiefsee

In der Tiefsee stellen Geisternetze eine besondere Gefahr dar, da sie nicht geborgen werden können und noch langsamer abgebaut werden. Dabei handelt es sich um zurückgelassene, verlorene oder weggeworfene Fischernetze, die im Meer landen. Auch ohne die Nutzung der Menschen werden diese biologisch nicht abbaubaren Netze zu tödlichen Fallen für allerhand Meereslebewesen. Die Tiere verfangen sich und verenden, ohne jemals vom Menschen genutzt zu werden. Je nach Studie variiert die Zeit von Tagen bis zu Jahre. Viele sinken dabei in die Tiefsee. Da biologische Abbauprozesse dort langsamer ablaufen als in höheren Wasserschichten, existieren Geisternetze in der Tiefsee besonders lange. Die Netze, die auf dem Grund der Tiefsee landen, verändern das Habitat langfristig. Für viele Arten wird es schwieriger, den Grund zu besiedeln und viele Tiere verenden in den Netzen. In flachen Gewässern werden Geisternetze immer häufiger geborgen, doch das ist in der Tiefsee nicht möglich.

3. Deep Sea Mining – Bedrohung eines unbekannten Ökosystem

Der Tiefseebergbau – Deep Sea Mining – bedroht das bislang kaum erforschte Ökosystem Tiefsee. Unser Alltag, unsere Wirtschaft braucht immer mehr Ressourcen. Nun ist die Tiefsee in den Fokus der Ressourcenextraktion gerückt. Denn dort existieren unzählige sogenannter polymetallische Knollen. Diese sind unter anderem reich an Mangan, Eisen, Kobalt, Nickel, Kupfer und Titan. Da diese Metalle an Land immer knapper werden, steigt das Interesse des bisher wenig erforschten Vorkommens in der Tiefsee rasant. Doch Tiefseeforschende sind besorgt. Bislang ist zu wenig über das Deep Sea Mining und dessen Folgen für die Biodiversität und Funktionalität des Ökosystems bekannt. Ein solcher Bergbau könnte das Ökosystem bereits degradieren, bevor die Menschheit es überhaupt verstanden hat. Was Tiefseebergbau genau für Auswirkungen hat, beleuchten wir in unserem Ocean Crime Podcast noch einmal genauer.

4. Die International Seabed Authority als Entscheidungsträger für Aktivitäten in der Tiefsee

Die International Seabed Authority (ISA) ist eine zwischenstaatliche Organisation, die jegliche Aktivitäten in der Tiefsee außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit reguliert. Bis Mai 2022 hat sie bereits 31 Verträge ausgestellt, um dieses Ökosystem für den Tiefseebergbau zu erforschen. Zum tatsächlichen Bergbau gibt es noch keine Verträge. Doch das könnte sich in den nächsten Jahren ändern. Die IUCN geht davon aus, dass das Deep Sea Mining bereits 2026 beginnen könnte, obwohl eine nachhaltige Gewinnung der Metalle nach heutigem Stand kaum vorstellbar ist. 

5. Einzeller als Nahrungsquelle der Tiefsee

Die für das Leben so wichtige Photosynthese wird an Land von Pflanzen und Bäumen betrieben. Im Ozean sind diese Primärproduzenten hauptsächlich einzellige Algen, das Phytoplankton. Der Großteil ist nur 1-70 Mikrometer (ein Mikrometer entspricht 0,001 Millimetern) groß und mit bloßem Auge nicht zu sehen. Da sie für die Photosynthese Sonnenlicht benötigen, leben sie nur in den oberen 200 Metern. Wenn ein Einzeller stirbt, beginnt er zu sinken. An ihren Körpern haften viele Anhängsel. Beim Herabsinken der Einzeller verhaken sich diese Anhängsel mit anderen mikroskopischen toten Organismen. Sie verbinden sich zu größeren Partikeln, die im Wasser wie kleine Schneeflocken aussehen und daher in der Wissenschaft häufig als “Marine Snow” bezeichnet werden. Die sinkenden Einzeller machen den größten Teil an organischem Material in der Tiefsee aus und bilden die Basis des Nahrungsnetzes. Andere sinkende tote Tiere, beispielsweise Walkadaver, ziehen allerdings ebenfalls eine Vielzahl von Tieren an und bieten ihnen für einen langen Zeitraum eine Nahrungsquelle. 

6. Stockfinster und bitterkalt

Die Tiefsee ist ein extremer Lebensraum und führt daher zu kuriosen, aber sehr cleveren Anpassungen ihrer Bewohner. Mit einer Durchschnittstemperatur von lediglich 4°C ist es bitterkalt. Es gibt kein Licht. Durch die fehlende Photosynthese mangelt es an Nahrung. Durch diese schwierigen Lebensbedingungen sind Tiefseeorganismen zu echten Überlebenskünstlern geworden. Sie haben sich optimal an dieses feindliche Ökosystem angepasst. Etwa drei Viertel aller Tiefseelebewesen sind biolumineszierend: Durch eine enzymatische Reaktion produzieren sie ihr eigenes Licht. Andere haben riesige Mäuler und Zähne, mit denen sie bei einer Nahrungsknappheit in der Lage sind, deutlich größere Beute zu fressen. Da es so dunkel ist, haben viele Tiefseeorganismen entweder gigantische Augen – oder aber gar keine. Farblich tarnen sich die Tiere durchsichtig oder rot. Denn Rot ist die erste Farbe, die im Ozean absorbiert wird. Daher erscheinen rote Tiere ab einer gewissen Tiefe schwarz und sind perfekt getarnt.

In der Familie der Anglerfische ist die rote Färbung und die abnormale Größe des Maules relativ zur Körpergröße gut zu erkennen. © Masaki Miya et al. 2010

7. Die Tiefsee als Nährstofflieferant

Die Tiefsee ist maßgeblich für die Produktivität der Oberflächengewässer verantwortlich – wie das, erfahrt ihr hier: Die einzelligen Algen benötigen zum Überleben nicht nur Sonnenlicht, sondern selbstverständlich auch Nährstoffe. Steht viel Sonnenlicht zur Verfügung, bestimmen die vorhandenen Nährstoffe das Wachstum dieser Algen. Das bedeutet, dass nur so viel Photosynthese stattfinden kann, wie es die Nährstoffe hergeben. Fressen nun Tiefseeorganismen den herabsinkenden Marine Snow, gelangen mit ihren Ausscheidungen die Nährstoffe zurück ins Wasser. Sie sind danach wieder für die Photosynthese verfügbar. Zumindest theoretisch, denn durch das fehlende Sonnenlicht in der Tiefsee findet dort ja keine Photosynthese statt.
Es gibt jedoch eine Lösung: Beispielsweise an Unterwasserbergen, die aus der Tiefsee Richtung Wasseroberfläche ragen, gelangt nährstoffreiches Wasser aus der Tiefsee wieder an die Oberfläche. Diese sogenannten Upwellings fördern die Primärproduktion enorm und unterstützen eine gewaltige Artenvielfalt. Diese Biodiversitätshotspots sind heute Fischerei- oder Tourismushochburgen. Es bedarf aber nicht immer einem Unterwasserberg. Sie können auch durch andere ozeanografischen Gegebenheiten entstehen.

8. Raubtiere – das Bindeglied zur Tiefsee

Viele Meeresraubtiere, die bislang eher an der Meeresoberfläche vermutet wurden, tauchen regelmäßig in die Tiefsee: Wale, Delfine, Pinguine, Seeelefanten und Meeresschildkröte. Aber auch Haie, Schwert- und Thunfische. Die seltenen Schnabelwale tauchen sogar fast 3000 Meter tief. Aufgrund der extremen Bedingungen (Druck, Temperatur, reduzierter Sauerstoffgehalt, mangelndes Licht) sind die Tauchgänge physiologisch enorm herausfordernd. Warum also begeben sich all diese Tiere trotzdem auf diese täglichen Exkursionen in die Tiefsee? Die meisten Wissenschaftler*innen gehen von einem Hauptgrund aus: der Jagd. Schwertfische jagen nach Tiefseefischen, Pottwale fressen Riesenkalmare und Blauhaie begeben sich auf die Jagd nach Tintenfischen. Die Tiefsee ist somit einerseits eine wichtige Nahrungsquelle für die Raubtiere. Andererseits werden durch die Tauchgänge Nährstoffe zwischen den Ökosystemen ausgetauscht.

9. Die zerstörerische Kraft der Tiefseefischerei

Einmal fischen, schon sind Jahrtausende von Wachstum zerstört. Tiefseegrundschleppnetze sind ein riesiges Problem, da sie alle Tiere, die den Meeresgrund besiedeln, nach und nach töten und den Lebensraum dort langfristig zerstören. Ziel sind meist mittelgroße Tiefseefische, die auf tiefen Unterwasserbergen nah am Grund leben. Ein Grundschleppnetz kann bis zu vier Tonnen wiegen und sorgt dafür, dass der Meeresgrund ebenerdig wird. Korallen, Schwämme und andere Meeresgrundbewohner können sich durch diese Belastung kaum erholen. Teilweise werden die Organismen bis zu tausende Jahre alt und wachsen nur sehr langsam. Bereits wenige Einsätze dieser Netze zerstören ein Ökosystem, das Jahrtausende brauchen wird, um sich vollends zu erholen.

10. Die Bedrohung des Klimawandels

Auch in der Tiefsee macht sich der Klimawandel bemerkbar. Die Tiefsee wird wärmer, sie versauert und hat weniger Sauerstoff zur Verfügung. Durch die komplexen ozeanographischen Gegebenheiten und Nährstoffflüsse sind die Folgen nur schwer im Detail vorherzusagen. Forschende rechnen mit dem Verlust von Habitaten, schlechterer Nahrungsversorgung, einer Reduktion in Wachstum und Reproduktion diverser Arten und letztlich einem Rückgang der Biodiversität. Dazu kommt die Ozeanversauerung. Durch das veränderte chemische Umfeld können viele kalzifizierende Tiefseeorganismen, beispielsweise Krebstiere, kaum noch ihr Kalkskelett bilden. Trotz der scheinbaren Entfernung zu den anthropogenen CO2-Emissionen sind die Folgen des Klimawandels in der Tiefsee somit bereits deutlich spürbar.


Die Tiefsee ist ein gigantischer, faszinierender Ort mit einer Artenvielfalt, die wir bisher kaum kennenlernen, geschweige denn in ihrer Komplexität entschlüsseln konnten. Doch wenn wir diesen Lebensraum nachhaltig nutzen und schützen wollen, müssen wir ihn so gut es geht verstehen. Ansonsten droht eine unnachhaltige Ressourcenextraktion, die in anderen Ökosystemen bereits ein Massenartensterben verursacht hat.  

 

BEITRAG VON LENNART VOSSGÄTTER

Lennart ist Masterstudent im Fach Meeresbiologie an der Universität Bremen und forscht insbesondere an der Populationsökologie von Tigerhaien. Er hat eine Passion für das Tauchen mit Haien und verbrachte im Rahmen eines Stipendiums von Bracenet fünf Wochen auf den Azoren, einer vulkanischen Inselgruppe mitten im Atlantik. Dort studierte und fotografierte er die marine Megafauna.

QUELLEN:

Angiolillo, M. (2019). Debris in deep water. In World Seas: an Environmental Evaluation (pp. 251-268). Academic Press.

Braun, C. D., Arostegui, M. C., Thorrold, S. R., Papastamatiou, Y. P., Gaube, P., Fontes, J., & Afonso, P. (2022). The functional and ecological significance of deep diving by large marine predators. Annual Review of Marine Science, 14, 129-159.

Clark, M. (2017). Deep-sea seamount fisheries: a review of global status and future prospects. Latin American Journal of Aquatic Research, 37(3), 501-512.

IUCN (2022) Deep sea mining. International Union of the Conservation of Nature, https://www.iucn.org/resources/issues-brief/deep-sea-mining. 

Levin, L. A., Wei, C. L., Dunn, D. C., Amon, D. J., Ashford, O. S., Cheung, W. W., … & Yasuhara, M. (2020). Climate change considerations are fundamental to management of deep‐sea resource extraction. Global change biology, 26(9), 4664-4678.

Miya, M., Pietsch, T. W., Orr, J. W., Arnold, R. J., Satoh, T. P., Shedlock, A. M., … & Nishida, M. (2010). Evolutionary history of anglerfishes (Teleostei: Lophiiformes): a mitogenomic perspective. BMC Evolutionary Biology, 10(1), 1-27.

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