Einmal kopfüber ins Wasser – schon klingen alle Geräusche von oberhalb des Wassers wie gedämpft. Aber unter Wasser ist es niemals still: Wellenschlag und Niederschlag, Wind und Strömung gehören wie die Kommunikationslaute vieler Meerestiere zur natürlichen Geräuschkulisse im Meer. Hinzu kommen vom Menschen verursachte Geräusche, sogenannter Unterwasserlärm.
Zum Internationalen Tag gegen Lärm am 28. April 2021 haben wir uns diesen Krach unter Wasser mal genauer angesehen bzw. -gehört. Was ist Unterwasserlärm und woher kommt er? Welche Folgen hat er für Meere und Meerestiere und welche Lösungen gibt es dagegen?
Über den Unterwasserlärm
Zuerst: Was ist eigentlich Lärm?
Klar, die laute Straße, die Bohrmaschine oder auch die Baustelle um die Ecke kennt jede*r von uns. Aber warum empfinden wir diese Geräusche als “Lärm”? Laut der Weltgesundheitsorganisation ist Lärm “jede Art von Schall, der stört, belästigt oder die Gesundheit beeinträchtigen kann”.
Bei einer höheren Lautstärke und bestimmten Frequenzen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein Geräusch als unangenehm wahrnehmen. Bleibt dieser Krach über einen längeren Zeitraum bestehen oder erfolgt er regelmäßig, kann sich das auf unser Wohlbefinden und die Lebensqualität auswirken.
Und was ist Unterwasserlärm?
Genauso sieht das bei den Tieren unter Wasser aus. Forscher*innen, Umwelt- und Naturschützer*innen haben im Jahr 2008 in der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie Unterwasserlärm definiert: Geräusche, “die das Potential haben, negative Auswirkungen auf die Meeresumwelt zu verursachen”.
Woher kommt der Unterwasserlärm?
Ruhige Ecken lassen sich in unseren Meeren immer weniger finden. Laut dem internationalen Tierschutzfonds (IFAW) hat sich der menschengemachte Unterwasserlärm in jedem Jahrzehnt der letzten 40 Jahre an manchen Stellen der Weltmeere verdoppelt. Das kommt zum Beispiel durch den kontinuierlichen Schall vom weltweit steigenden Schiffsverkehr, Impulsschall wie durch den Bau von Windparks und Explosionen, sowie durch Sonargeräte und seismische Untersuchungen.
Schiffsverkehr ist eine Ursache für Unterwasserlärm.
Kontinuierlicher Schall
Kontinuierlicher Lärm durch Schiffsverkehr nimmt jährlich zu. Neben immer mehr und größeren Containerschiffen hat sich in den letzten 20 Jahren die Anzahl der Kreuzfahrtpassagiere – mit zuletzt 28,5 Millionen pro Jahr – und damit der Kreuzfahrtschiffe fast verfünffacht. Ihre Schiffsschrauben und -motoren erzeugen permanent Lärm. Dazu nutzen viele Schiffe Echolote zur Bestimmung der Wassertiefe und senden durchgehend Schallwellen. Dieser permanente Lärm überlagert alle natürlichen Geräusche und hat oft die gleiche Tonhöhe, wie sie viele Meerestiere für ihre Verständigung nutzen. Auch der Tourismus in Küstennähe sorgt für mehr Krach unter Wasser, beispielsweise durch Motorboote, Jet- oder Wasserski.
Impulsschall
Impulsschall bedeutet das Auftreten kurzer Schallereignisse. Zum Beispiel werden je nach Bauart Pfähle für Windrad-Halterungen mit tausenden Hammerschlägen in den Meeresboden gerammt. Ähnliches passiert beim Bau von Öl- und Gasplattformen. Hier könnt ihr euch das einmal anhören.
Schall- bzw. Druckluftkanonen für die Suche nach Erdöl und -gas sorgen ebenfalls für einen Impulsschall. Dabei ziehen Schiffe bis zu 40 Druckluftkanonen hinter sich her und feuern alle 15 Sekunden explosionsartige Knalle mit großem Druck in Richtung Meeresboden ab. Durch die erfolgenden Echos werden Informationen über die Beschaffenheit des Bodens und der darunter vorkommenden Rohstoffe gesammelt. Diese Geräte gehören zu den lautesten, die unter Wasser eingesetzt werden.
Nicht minder laut sind Explosionen unter Wasser. Diese werden dafür eingesetzt, alte Munition zu sprengen. In Nord- und Ostsee liegen beispielsweise ca. 1,6 Millionen Tonnen alter Sprengsätze, welche langsam verrosten und gefährlich für Meerestiere, Schifffahrt und Fischerei werden können. Zusätzlich belastet Gift aus der Munition die Meeresumwelt. Eine leisere Alternative wäre die Bergung der Munition.
Sonare
Sonare helfen, die Meeresumwelt zu erkunden und machen Fischschwärme, Untiefen oder auch U-Boote sichtbar. Besonders Militärsonare stellen mit ihrem besonders hohen Schalldruck eine Todesgefahr für Wale und Delfine dar. Meist werden sie zu Übungen oder Routineaktivitäten des Militärs eingesetzt, um feindliche Objekte im Wasser erkennen zu können. Dabei werden über einen längeren Zeitraum je 100 Sekunden lange Tonimpulse ausgesendet, die weite Bereiche unter Wasser mit Schall füllen.
Quelle: Ocean Care: Wissen, Fokus Spezial 06, 2018.
Eins ist klar: Der Lärm unter Wasser ist vielseitig und dauerhaft. Besonders schlimm ist, wenn er kumulativ auftritt, das heißt, wenn viele Lärmquellen zusammen kommen. Zwischen sogenannten “Schiffsautobahnen”, Sonargeräten, Schallkanonen und Explosionen bleibt vielen Tieren keine Fluchtmöglichkeit mehr.
Die Folgen von Unterwasserlärm: schwerhörige Wale und gestresste Fische
Viele Meerestiere nutzen Schall zur Orientierung, Kommunikation, Partner*innen- und Nahrungssuche sowie zur Feindvermeidung. All diese Aspekte werden durch den menschengemachten Unterwasserlärm beeinflusst. Die Auswirkungen reichen je nach Dauer, Intensität und Kontext von Veränderung der Verhaltensweise über Verletzungen bis zum Tod.
Alle Tiere sind betroffen
Die Erforschung dieser Effekte ist komplex, doch es ist klar, dass so gut wie alle Meerestiere davon betroffen sind. Generell führt erhöhte Schallbelastung zu Stress. Ohne dass das Tier es aktiv wahrnimmt, kann sich die Atemfrequenz erhöhen oder die Stoffwechselrate ändern. Außerdem werden Stresshormone ausgeschüttet – und warum sollte lang anhaltender Stress nicht auch wie bei Menschen zu Krankheiten führen können. Plötzlicher Lärm kann bei Tieren reflexartig eine Schreckreaktion hervorrufen, die sich in einer Schutzhaltung verkörpert. Bei einer Flucht wird die Nahrungssuche eingestellt und Reserven werden gleichzeitig aufgebraucht. Neben einzelnen Tieren kann sich die Lärmbelastung auch auf gesamte Tierpopulationen auswirken – das hängt davon ab, ob sie dem Lärm entfliehen und neue Lebensräume besiedeln können.
Fische, Muscheln und Garnelen
Laute Schallwellen können bei Fischen zu inneren Verletzungen und langfristig zu körperlichen Fehlbildungen und erhöhter Unfruchtbarkeit führen. Auch Garnelen und Muscheln sind beeinträchtigt, es kommt zu Wachstumsstörungen, verminderter Fruchtbarkeit und damit einhergehenden geringen Reproduktionsraten.
Wale leiden besonders unter Unterwasserlärm.
Unterwasserlärm und Wale
Durch erhöhten dauerhaften Lärm kann es dazu kommen, dass beispielsweise Wale ihre Habitate, in denen sie sich normalerweise aufhalten, verlassen oder zeitweise meiden. Das beeinträchtigt ihr Jagd-, Tauch- und Fluchtverhalten und zeigt sich in reduzierter Nahrungsaufnahme und damit einhergehender Schwächung. Impulsschall in Form von Explosionen kann Wale irritieren, sodass sie viel zu schnell auftauchen, was zu tödlicher Embolie führen kann (hoher Stickstoffgehalt im Blut und anderen Geweben, bei Menschen auch als Taucherkrankheit bekannt). Dies zeigt sich auch häufig in Form von Massenstrandungen, auch wenn es dafür viele Gründe gibt.
Schweinswale orientieren sich durch Echolot, da sie sehr schlecht sehen. Wird dieses gestört, besteht die Möglichkeit, dass sie gar keine Nahrung mehr finden und verenden.
Delfine
Delfine versuchen häufig, trotz des Lärms von ihren Artgenossen gehört zu werden und schreien daher umso lauter. Das führt wiederum zu Stress. Lang anhaltender Lärm kann außerdem zu temporärem oder konstantem Hörverlust führen.
Wirbellose Tiere
Bei Tintenfischen und anderen wirbellosen Tieren kann sich durch anhaltenden Lärm die Zellstruktur verändern. Das bedeutet eine Veränderung der Haarzellen, die dazu führen, dass ihr Gleichgewichtssinn gestört wird. Wuchtige Schallwellen können die Tiere mit ihrem Druck auch sofort töten.
Dies sind nur einige der Auswirkungen von Lärmbelastung. Sie beweisen, dass die Folgen für die Tierwelt so vielseitig wie gravierend sein können – dabei steht die Forschung hier noch relativ am Anfang. Doch jetzt ist schon sicher: Es muss sich etwas ändern, wenn wir das Ökosystem Meer nicht noch weiter gefährden wollen.
Der Weg zu mehr Ruhe
Im Jahr 2005 haben die Vereinten Nationen Unterwasserlärm als eine der fünf größten Gefahren für Meeressäuger und als eine der zehn größten Gefahren für die Meere insgesamt anerkannt. In der Theorie sind die Lösungen für Unterwasserlärm einfach: Leisere Schiffsschrauben, Begrenzung der Geschwindigkeit, Meeresschutzgebiete als Rückzugsraum, technisch verbesserte und sparsamere Motoren – dies würde alles zu weniger Lärm und gleichzeitig auch zu einer Reduktion der Schadstoffemission beitragen. Doch in der Praxis geht es schleppend voran.
Welche Lösungen gegen Unterwasserlärm gibt es bereits?
Für die deutsche Nordsee gibt es ein Schallschutzkonzept für Offshore-Windparks. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrologie (BSH) koordiniert dieses und achtet auf die Einhaltung der Regeln. Beispielsweise dürfen nicht zwei Parks gleichzeitig errichtet werden, so dass Schweinswale in ruhigere Gebiete fliehen können. Zudem darf die Lautstärke der Rammung einen bestimmten Dezibelwert nicht übersteigen und es werden zuvor Störsignale gesendet, um die Tiere zu warnen.
Ein weiteres Mittel zur Eindämmung von Rammgeräuschen sind sogenannte Blasenschleier, die den Schall dämpfen. Dabei wird eine Art löchriger Fahrradschlauch um die Rammstelle am Meeresboden gelegt und mit Kompressionen Luft hineingepresst. Dieses strömt dann aus den Löchern und steigt in Form von Blasen an die Oberfläche und bildet dadurch einen Schleier, der den Schall dämmt. Allerdings bleibt es auch nach dem Bau von Offshore Windparks oder Plattformen in ihrer Umgebung durch Versorgungsfahrten laut.
Ein Ansatz zur Lärmreduzierung bei der Erkundung von Meeresböden ist die Nutzung von Vibration anstatt von Schall. Das Militär ist allerdings nicht besonders kooperativ, wenn es um den Verzicht von Schall geht. Es wird argumentiert, dass die Aktivitäten der nationalen Sicherheit dienen.
Politischer Handlungsbedarf
Generell fehlt es neben technischen Mitteln bislang jedoch an politischen Entscheidungen und grenzüberschreitenden Lösungen, welche wesentlich sind, um das massive Problem der Lärmbelastung in unseren Ozeanen zu bekämpfen. So bilden diese auch einen Schwerpunkt der UN Dekade im Bereich der Meeresforschung für Nachhaltige Entwicklung, welche dieses Jahr begonnen hat.
Aktuell fordern verschiedene Umweltverbände u.a. der BUND und der IFAW von der Bundesregierung in einem offenen Brief an die Umweltministerin eine kontinuierliche Finanzierung von Langzeitmessstationen, um die Quellen besser benennen und zielgerichtet Maßnahmen umsetzen zu können, eine Reduzierung von Lärm an der Quelle sowie europaweite Lärmminderungsstrategien. Aufhänger ist, dass sie den EU Staaten vorwerfen, die bereits im Jahr 2008 vereinbarten Ziele der EU Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – einen guten Umweltzustand unserer Meere bis 2020 zu erreichen – völlig verfehlt zu haben.
Die gute Nachricht zum Schluss
Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bis die Lärmbelastung im Meer deutlich verringert wird. Aber es gibt einen Lichtblick: Wenn die Lärmursache beseitigt wird, hört die Belastung sofort auf. Es wird noch einiges zu tun sein, aber es besteht große Hoffnung, dass wir auf lange Sicht den Meerestiere eine leisere Umwelt zurückgeben können. Denn auch wir sind ja froh, wenn wir einfach mal die Tür hinter allem schließen können.
Wenn du noch mehr über das Problem erfahren möchtest, empfehlen wir dir den den Dokumentarfilm Sonic Sea. Hier kannst du außerdem direkt die Petition vom BUND gegen Unterwasserlärm unterzeichnen.